
Kritik am geplanten Zusatzprotokoll zur Oviedo-Konvention des Europarats
Es würde Zwangsbehandlung Tür und Tor öffnen und steht im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD)
München, den 24. September 2025
{Anrede},
wir wenden uns an Sie mit der dringenden Bitte, sich auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die hart erkämpfte UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD), welche von Deutschland 2009 ratifiziert wurde, nicht durch ein geplantes Zusatzprotokoll zur Oviedo-Konvention des Europarats wieder ausgehebelt wird.
Dieses Zusatzprotokoll sieht vor, Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie (Zwangseinweisungen, Behandlungen ohne Zustimmung) europaweit wieder einzuführen. Weitere Informationen hierzu finden Sie im Anhang. Es steht in direktem Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention, die Zwang und Diskriminierung aufgrund einer Einschränkung oder Behinderung ausdrücklich verbietet.
Internationale Gremien wie der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das Hochkommissariat für Menschenrechte sowie zahlreiche Fachverbände haben wiederholt gefordert, das Zusatzprotokoll zurückzuziehen. Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich in mehreren Resolutionen gegen Zwang ausgesprochen.
Wir bitten Sie, Ihr Mandat zu nutzen, um:
- sich öffentlich und politisch gegen das Zusatzprotokoll zu positionieren,
- die Bundesregierung bzw. die jeweilige Landesregierung aufzufordern, im Europarat eine Ablehnung des Protokolls zu vertreten,
- und sich dafür einzusetzen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD) sowie die UN-Leitlinie Mental Health, Menschenrechte und Gesetzgebung vom Oktober 2023 in Deutschland umgesetzt wird.
https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/rechtliches/un-brk/un-brk-node.html
https://www.ohchr.org/en/publications/policy-and-methodological-publications/mental-health-human-rights-and-legislation
Die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz von Betroffenen vor Zwangsmaßnahmen sind zentrale Werte unserer Demokratie. Wenn die Grundrechte einer Gruppe relativiert werden, schwächt dies die Rechte aller.
Wir appellieren an Sie, diese Werte aktiv zu verteidigen. Für Ihre Unterstützung danken wir Ihnen herzlich.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Trepping
Vorstand KVPM Deutschland e.V.
P.S.:
Die neue UN-Leitlinie Mental Health, Menschenrechte und Gesetzgebung verpflichtet UN-Mitgliedsländer zu Null-Toleranz gegen über psychiatrischem Zwang.
Die Oviedo-Konvention des Europarates und das Zusatzprotokoll:
Die Oviedo-Konvention (vollständiger Titel: Konvention über Menschenrechte und Biomedizin) ist ein internationaler Vertrag des Europarates, der 1997 in der spanischen Stadt Oviedo verabschiedet wurde und die Menschenrechte im Bereich der Medizin und Biotechnologie regeln soll.
Sie betont vordergründig das Recht auf Würde, Selbstbestimmung und informierte Zustimmung bei medizinischen Eingriffen. Gleichzeitig lässt sie jedoch Ausnahmen zu, wenn Menschen „nicht in der Lage sind, ihre Zustimmung zu geben” – ohne klar zu definieren, wer nach welchen Kriterien darüber bestimmt, ob jemand nicht in der Lage ist seine Zustimmung zu geben, wie beispielsweise in der Psychiatrie.
Das geplante Zusatzprotokoll baut genau auf dieser Lücke auf:
Es würde Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen europaweit legitimieren. Damit stünde das Protokoll in direktem Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD), die Zwangsmaßnahmen eindeutig verbietet. Das Protokoll stünde darüber hinaus auch im direkten Widerspruch zur UN-Leitlinie Mental Health, Menschenrechte und Gesetzgebung vom Oktober 2023, mit der alle UN-Mitgliedsländer aufgefordert werden, Zwang und Gewalt mit einer Null-Toleranz abzuschaffen.
Das Zusatzprotokoll widerspricht internationalen Menschenrechtsverträgen und ist daher kontraproduktiv. UN-Organisationen, Experten, Betroffene und Menschenrechtsorganisationen sind sich darüber einig. Es würde den Betroffenen schaden und die Menschenrechte in Europa schwächen. Es würde die Zwangspsychiatrie legitimieren, statt freiwillige Unterstützung und Alternativen zu fördern; statt die Rechte der Betroffenen zu stärken, droht Europa einen gefährlichen Rückschritt in Sachen Menschenrechte zu machen.
Problem im Völkerrecht: Es käme zudem zu einem Konflikt zwischen dem Recht des Europarates (Oviedo-Zusatzprotokoll) und dem Völkerrecht (CRPD, ICCPR usw.), was einen Verstoß gegen das Wiener Vertragsrecht darstellen könnte.
Internationale Akteure beziehen seit langem Stellung dagegen
UN-Gremien (CRPD-Ausschuss, Sonderberichterstatter, Hoher Kommissar für Menschenrechte) fordern seit 2015 wiederholt, das Zusatzprotokoll zu stoppen.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat wiederholt (2016, 2019, 2022, 2024) Empfehlungen und Resolutionen gegen das Protokoll verabschiedet und fordert ein Ende der Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie
Zivilgesellschaft (z. B. Europäisches Behindertenforum, Mental Health Europe, Kampagne „Withdraw Oviedo“) organisiert europaweite Proteste und Lobbyarbeit und fordert Regierungen und Parlamentsabgeordnete zum Widerstand auf.
Aktueller Stand im September 2025 und Ausblick
Der Ausschuss für soziale Angelegenheiten, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung (SOC) der PACE arbeitet an einer Erklärung.
Die spanische Senatorin Carmen Leyte ist Berichterstatterin; sie unterstützt das Protokoll und plädiert für eine „Harmonisierung der Mindeststandards”.
Eine Entscheidung im Ausschuss wird für den 4. Dezember 2025 erwartet; die Abstimmung im Plenum der PACE wird für Januar 2026 erwartet.
Frühjahr 2026: Das Ministerkomitee des Europarates wird eine endgültige Entscheidung treffen.
Nach internationalem Recht inakzeptabel
Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD) sowie zur UN-Leitlinie Mental Health, Menschenrechte und Gesetzgebung: Diese verbieten Zwang in der Psychiatrie.
Verstoß gegen internationales Recht: Das Protokoll würde bereits ratifizierten Menschenrechtsverträgen (CRPD, ICCP7R, EMRK) widersprechen.
Europa riskiert Glaubwürdigkeitsverlust: Wie kann der Europarat weltweit Menschenrechtsverletzungen kritisieren, wenn er selbst Zwangsmaßnahmen legitimiert?
Medizinisch schädlich
Kein therapeutischer Nutzen: Studien zeigen, dass Zwangsmaßnahmen die Genesung nicht fördern, sondern Rückfälle und erneute Krankenhausaufenthalte erhöhen.
Schwerwiegende Folgen: Zwangsmaßnahmen führen zu Traumata, Vertrauensverlust und erhöhtem Suizidrisiko.
Ressourcenfalle: Anstatt die gemeindenahe Unterstützung auszubauen, würden Strukturen für Zwangsmaßnahmen zementiert.
Ethisch und politisch gefährlich
Grundrechte dürfen nicht relativiert werden: Selbstbestimmung und Freiheit gelten für alle – Einschränkungen für einzelne Gruppen untergraben die Rechte insgesamt.
Diskriminierende Sonderrechte: Menschen mit psychischen Problemen und/oder psychosozialen Behinderungen würden gegenüber anderen Bürgern rechtlich benachteiligt.
Europäische Menschenrechte in Gefahr: Ein gefährlicher Präzedenzfall für die Aushöhlung von Grundrechten.
Die Alternativen
Stärkung freiwilliger Unterstützung: Modelle aus Skandinavien und Italien zeigen, dass Pflege ohne Zwang möglich und erfolgreicher ist.
Schutz der Menschenrechte: Anstatt durch Zwang einen Rückschritt zu machen, müssen wir in gemeindenahe, selbstbestimmte Unterstützung investieren.
Kurz zusammengefasst
Es geht um den Entwurf eines Zusatzprotokolls zur Oviedo-Konvention des Europarats, das Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie regeln soll (unfreiwillige Einweisungen, Zwangsbehandlungen u.a.).
Das Protokoll ist seit Jahren in Vorbereitung, wird jedoch heftig kritisiert, weil es Zwangsmaßnahmen legitimiert, anstatt sie abzuschaffen.
Hauptkritikpunkte
Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD) sowie zurUN-Leitlinie Mental Health, Menschenrechte und Gesetzgebung.
Diese verbieten Diskriminierung und fordern ein Ende von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie. Das Zusatzprotokoll hingegen würde Zwangsmaßnahmen gesetzlich absichern.
Verletzung von Grundrechten
Es erlaubt unfreiwillige Einweisungen, Behandlungen ohne Einwilligung und entzieht den Betroffenen ihr Entscheidungsrecht.
Wissenschaftliche Kritik:
Studien zeigen, dass Zwangsmaßnahmen keinen therapeutischen Nutzen haben, die Lebensqualität mindern, Traumata verursachen und das Risiko für Suizid und erneute Krankenhausaufenthalte erhöhen.