Vorwürfe gegen Haarer Krankenhausdirektor

 

München, den 21. 12. 1976

 

In Schreiben an den bayerischen Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Fritz Pirkl und an Georg Klimm, Präsident des Bezirkstags Oberbayern, hat die Münchner "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." schwere Vorwürfe gegen den Leiter des psychiatrischen Krankenhauses Haar, Direktor Dr. Christof Schulz, erhoben und eine Untersuchung der ganzen "Angelegenheit" gefordert.

 

Die Kommission bezieht sich auf Vorfälle, die am vergangenen Freitag während einer öffentlichen Sitzung des Bezirkstags von Oberbayern aufgrund verschiedener Anfragen publik wurden. Im Wesentlichen wird Dr. Schulz vorgeworfen-, dass er die Pressestelle des Bezirkstags nicht mehr über "besondere Vorfälle im Bezirkskrankenhaus Haar" unterrichte und dadurch eine ausreichende Information der Öffentlichkeit verhindere. Weiters soll er für ein "denkbar schlechtes Betriebsklima" und für "mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten" verantwortlich sein, was dazu geführt haben soll, dass mehrere junge Psychiater kündigten. Ferner soll die Privatstation des Klinikdirektors unterbelegt sein, obwohl die Nervenklinik überfüllt ist. Doch der entscheidende Punkt liege darin, dass es Dr. Schulz seit zwei Jahren unterlassen hat, Jahresberichte über die Haarer Anstalt herauszugeben.

 

Direktor Schulz wurde von der Kommission mit diesen Vorwürfen direkt konfrontiert. Daraufhin angesprochen, warum er denn die Pressestelle des Bezirkstags seit etwa einem Monat über "besondere Vorfälle im \m/ Bezirkskrankenhaus Haar" nicht mehr unterrichte - er wäre dazu aufgrund entsprechender Abmachungen verpflichtet - äußerte sich Dr. Schulz: "Dazu möchte ich keine Angaben machen."

 

Von dem Vorwurf, dass es in Haar keine ausreichenden Weiterbildungsmöglichkeiten für junge Psychiater gebe und ein schlechtes Betriebsklima herrsche - der SPD-Bezirkstagfraktion liegen allein fünf Schreiben von Ärzten vor, die aus diesen Gründen kündigten - zeigte sich der Klinikchef völlig überrascht. Sein Kommentar: "Das ist mir neu, ich kenne kein Krankenhaus, wo die Facharztausbildung so vielfältig ist, wie bei uns." Dies ist sehr verwunderlich, denn gewöhnlich sind einem Vorgesetzten Kündigungsgründe seiner Angestellten sehr wohl bekannt.

 

Zur Unterbelegung seiner Privatstation - von den 18 Privatbetten waren 1975 durchschnittlich nur 11 belegt, wobei sich vier qualifizierte Pflegekräfte und vier Pflegeschüler um das "Wohl" der Patienten kümmerten, wie aus einem Prüfungsbericht hervorging - meinte Dr. Schulz: "Dies trifft nicht zu, vielmehr ist das ganze Bezirkskrankenhaus unterbelegt, was sich natürlich auch auf die Belegung der Privatstation auswirkt und dies wiederum ist auf einen Skandalbericht der Illustrierten "Stern" zurückzuführen und überhaupt könnten diese wenigen Betten, um die es hier geht, in Haar nichts verändern."

 

Obwohl es für andere Krankenhäuser eine Selbstverständlichkeit ist, einen Jahresbericht herauszugeben, findet es Direktor Schulz nach eigenem Bekunden gar nicht so außergewöhnlich 1973 den letzten Jahresbericht erstellt zu haben, denn schließlich "sei er ja nicht verpflichtet dazu." Dass für die Jahre 1974 und 1975 bislang keine Berichte erstellt wurden, entschuldigt er "mit der Überlastung der Datenverarbeitungsanlage und der Größe des Haarer Krankenhauses." Die Kommission sieht hierin nichts weiter als eine "billige Rechtsfertigung". Sie argumentiert: "Der Träger des Bezirkskrankenhauses Haar, der Bezirkstag von Oberbayern, hat in den vergangenen Jahren trotz finanzieller Engpässe Millionengelder aus dem Steuersäckel in die Modernisierung von Haar investiert. Es ist völlig unverständlich, warum Dr. Schulz nicht bereit oder in der Lage ist, über die Verwendung dieser öffentlichen Gelder und über die damit erbrachten Leistungen in Form eines Jahresberichtes Rechenschaft abzulegen. So aber ist gründlich zu untersuchen, ob die finanziellen Aufwendungen mit dem tatsächlich Erreichten in Einklang zu bringen sind."

 

"Gegebenenfalls", so heißt es in den Schreiben der Kommission an Staatsminister Dr. Pirkl und Bezirkstagspräsident Klimm, "müssten auch personelle Konsequenzen daraus gezogen werden, wenn sich durch eine Untersuchung herausstellen sollte, dass unsere Vorwürfe, sowie die der SPD-Bezirkstagfraktion, völlig gerechtfertigt sind."

 

Die ausführlichen Recherchen der Kommission ergaben weiter, dass es um Schädigungen, die durch Elektroschockbehandlungen verursacht wurden, auch schon gerichtliche Auseinandersetzungen gab. So wurde beispielsweise vom Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 10.5.1966 einer geschädigten Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25 000 Mark zuerkannt (AZ VI ZR 251/64).

 

Aus der Fachliteratur geht hervor, dass es an Kritikern der Schockbehandlung zu keiner Zeit fehlte. Der gegenwärtig wohl Bekannteste von ihnen ist der prominente amerikanische Psychiatrieprofessor Dr. Thomas S. Szasz. Er äußert sich zum Elektroschock: "Die Schockbehandlung ist eine Barbarei. Ich habe sie nie benutzt und werde sie niemals benützen. Ich würde nicht einmal im Traum daran denken sie zu empfehlen".

 

Als "Begründer" der Elektroschockbehandlung gilt der Italiener Dr. Ugo Cerletti. In seinem Protokoll über sein erstes Stromexperiment am Menschen, das er am 15. April 1938 durchführte, schrieb er: "Zwei Elektroden wurden am Gehirn an den Stirnseiten des Kopfes angelegt und ich entschloss mich, mit einer niederen Spannung von 80 Volt für rund 0,2 Sekunden zu beginnen. Sobald der Strom eingeschaltet war, reagierte der Patient mit einem Aufbäumen und seine Körpermuskulatur verkrampfte sich, dann fiel er zurück auf das Bett ohne das Bewusstsein zu verlieren. Er begann abrupt in den höchsten Stimmlagen zu singen und wurde dann still. Natürlich standen wir, die das Experiment durchführten, unter größter emotioneller Anspannung und hatten das Gefühl, dass wir bereits ein großes Risiko eingegangen waren. Nichtsdestoweniger war es für uns alle klar ersichtlich, dass wir eine zu niedrige Spannung benutzt hatten. Deshalb wurde der Vorschlag gemacht, dass wir dem Patienten etwas Ruhe erlauben und das Experiment am nächsten Tag wiederholen. Doch plötzlich sagte der Patient, der unserer Unterhaltung offensichtlich gefolgt war, deutlich und ernst ohne den vorherigen Unsinn: "NICHT NOCH EINEN, ES WÄRE TÖTLICH!" "Hierzu meint die Kommission, dass diese Worte des ersten Patienten allen Schockbefürwortern eine Mahnung sein und niemals vergessen werden sollten.

 

Ernest Hemingway, einer der besten Novellisten unseres Jahrhunderts, erhielt 1961 zwei Elektroschockserien und schrieb daraufhin einem Freund: "Sie nehmen mir mein Gedächtnis weg und zerstören mir meinen Lebensinhalt. Ich habe nichts zum Leben, wenn ich nicht schreiben kann." Aus der Sicht der Psychiater war es eine ausgezeichnete "Behandlung", doch sie verloren den Patienten dabei. 30 Tage nach der Behandlung beging Hemingway Selbstmord - eine Kur mit dem Holzhammer.

 

Die Münchner Kommission arbeitet an einer umfangreichen Dokumentation über Schäden bei der Elektroschockbehandlung. Diese Dokumentation soll in Kürze an Politiker herangetragen werden, um ein gesetzliches Verbot der Schockbehandlung zu erreichen.

 

 

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