Zwei Millionen für die Unmenschlichkeit

 

14.7.1976

 

Wegen Personalmangel "Schwarze Sheriffs" im weißen Pflegerkittel / Furcht vor Geiselname durch Patienten / Untersuchungsbericht fordert:

 

Die "Burg" in der Nervenheilanstalt Haar muss weg.

 

 

Über die "Burg", ein Verwahr- und Sicherungsbau für psychisch kranke Rechtsbrecher in Deutschlands größter Nervenheilanstalt "Haar", hat die Münchner "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." einen umfangreichen Untersuchungsbericht herausgegeben.

 

Sie fordert darin die sofortige Auflösung der "Burg", die erst jüngst mit einem Aufwand von 2 Millionen Mark in eine unmenschliche Festung umgebaut wurde und warnt eindringlich vor den Gefahren einer Renovation der alten Schlangengruben, in der die Insassen keinesfalls mehr Menschen, sondern Wahnsinnige werden weil sie unter Tierasyl-ähnlichen Bedingungen zu leben haben.

 

Der Untersuchungsbericht ging an alle politisch wichtigen Stellen des Landes Bayern, unter anderem an die direkt mit dem Problem "Haar" behafteten Gremien des Bezirkstages von Oberbayern, der der Träger der Anstalt Haar ist. Ebenso wird sich das Sozialministerium und der Bayerische Oberste Rechnungshof mit den Vorwürfen der Kommission befassen müssen. Der Rechnungshof hatte die vorgesehene Bausumme von 40 Millionen Mark für eine in Straubing geplante Sonderanstalt für psychisch kranke Rechtsbrecher als "sehr hochgestochene Vorstellungen" abgelehnt und 30 Millionen Mark für ausreichend erklärt.

 

Durch eine gemeinsame Protestnote der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. und die Deutsche Liga für Menschenrechte e.V. war die "Burg" jetzt erneut ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Denn trotz der seit 1973 geplanten Sonderanstalt war die "Burg" in Haar bei einem jüngsten Umbau in eine "Festung der Unmenschlichkeit" verwandelt worden, mit meterhohen Betonmauern direkt vor den Zellenfenstern, Fernsehkameras, Flutlichtanlage, elektronische Alarmeinrichtungen und "Schwarzen Sheriffs" mit Schlagstöcken. "Für alle Verantwortlichen ist es eine allgemein bekannte Tatsache, dass eine solche unmenschliche Einrichtung jede Therapiemöglichkeit für die Insassen unmöglich macht, obwohl sie vom Gesetz her nicht als Häftlinge, sondern als Patienten gelten" konstatiert die Kommission in ihrem Bericht.

 

Sie protestiert gegen diese Art der neuen Unmenschlichkeit gegenüber psychisch Kranken und dagegen, dass man die Gesellschaft neuerdings für die Diskriminierung der geistig Behinderten verantwortlich macht.

 

Dies sei ein zugeschobener "Schwarzer Peter", der für die Verantwortlichen nur eine Alibifunktion für ihre Versäumnisse und falschen Entscheidungen erfüllt und zur Folge hat, daß Patienten in der "Burg" angesichts ihrer vollkommenen Isoliertheit und grausamen Lebensbedingungen vor brutalen Tätlichkeiten nicht mehr zurückschrecken werden.

 

Obwohl schon 1974 die Bediensteten der "Burg" gegen die Verwirklichung der unmenschlichen Umbaupläne protestierten und drohten "unter diesen Umständen ihre sofortige Versetzung auf andere Stationen zu beantragen", da "das Personal in ganz erheblichen Maße zusätzlichen Gefahren seitens der Patienten ausgesetzt sein wird", hat der Träger der Anstalt dennoch die Pläne verschärft verwirklicht, indem er nicht nur wie 1974 geplant, 150 000 DM, sondern 2 Millionen in den seinen Zweck verfehlenden Umbau investierte.

 

In ihren Schreiben an die Direktion der Haarer Anstalt warnten die Bediensteten "so besteht z.B. durchaus die Gefahr der Geiselnahme usw.".

 

Obwohl Bezirkstagsvizepräsident Gütlein sich gegen Kritiken der beiden Menschenrechtsvertretungen und andere öffentliche Klagen scharf verwahrt, leidet das Nervenkrankenhaus Haar heute an chronischen Personalmangel. Der Bezirkstag lockte Pfleger mit Gehaltserhöhungen, schrieb die Stellen öffentlich aus und versuchte alles, um sechs bis acht Planstellen in der "Burg" zu besetzen. Doch ohne Ergebnis. Niemand will mehr in dieser Abteilung arbeiten.

 

In Haar denkt man jetzt an "Zwangsverpflichtungen". Auch der Einsatz von Wachmännern des Zivilen Sicherheitsdienstes, "Schwarze Sheriffs", wird erwogen. Laut Süddeutscher Zeitung, (23.6.1976) sollen sie ihre Uniformen ausziehen, in weiße Pflegerkittel schlüpfen und die Insassen der Heilanstalt zum Beispiel bei der Arbeit überwachen.

 

Die Kommission bezeichnet dies als einen Skandal, der jede Unterbringung rechtswidrig macht, aufgrund der fehlenden therapeutischen Einrichtungen. "Jede Unterbringung in einem Gefängnis wäre damit menschlicher und erfolgversprechender". Sie verweist auf ihre "Menschenrechtserklärung für geistig Kranke" in der es heißt:

 

"Wenn dem Staate das Recht zuerkannt wurde, durch ordentliches Gerichtsverfahren jemanden wegen sogenannter Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in eine Heilanstalt einzuweisen, hat er auch die Pflicht, die Dienste, Einrichtungen und Arbeitskräfte zu beschaffen, die für eine sachgerechte Pflege des Eingewiesenen erforderlich sind. Kann das der Staat nicht, hat er kein Recht zu einer Zwangseinweisung mit der Begründung, die Maßnahme sei zum Wohle des Zwangseingewiesenen erfolgt. Andere Bedingungen sind unmenschlich und sollten nicht geduldet, entschuldigt oder unterstützt werden".

 

In ihrem Untersuchungsbericht verlangt deshalb die Kommission die "Burg" muss ihren destruktiven Charakter ändern und sobald als möglich aus dem Haarer Anstaltsareal ausgegliedert werden in eine dafür zu schaffende Bewahranstalt mit modernen Rehabilitierungsmaßnahmen.

 

  

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.