Die "Burgherren" finden keine Diener

Totale Nachrichtensperre über Haarer "Burg" verhängt

Führt politische Fehlentscheidung zur Bankrotterklärung?

 

München, 9.8.1976

 

In Haar ist eingetreten, was offizielle Stellen schon lange befürchteten. Die "Burg" ist seit Monaten leer. Kritische Stimmen und Gegner hatten schon lange gefordert: "Die Burg muss weg".

 

Jetzt wurde eine totale Nachrichtensperre nach draußen verhängt, weil Pfleger sich weigern, in der neu errichteten zur Festung umfunktionierten "Burg" Dienst zu tun. 2,8 Millionen Mark Steuergelder drohen nutzlos investiert zu sein.

 

"Ist dies eine Bankrotterklärung" fragt nun die Münchner "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V.", die erst jüngst in einem umfassenden Bericht über die "Burg" Sofortmaßnahmen zur Beseitigung des "psychiatrischen Schandflecks aus dem letzten Jahrhundert" - wie sie es nannte - forderte.

 

Verlangt wird eine eigene Bewahranstalt außerhalb des Haarer Anstaltsgeländes für kriminell gewordene psychisch Kranke mit modernen und zeitgemäßen Rehabilitierungsmaßnahmen, wie sie bei Straubing geplant ist, doch bis heute noch nicht verwirklicht wurde, so der Bericht der Kommission.

 

Genaue Informationen über die Vorgänge im Bezirkskrankenhaus sind derzeit schwerlich zu bekommen. Bezirkstagspräsident Georg Klimm ließ laut seiner Pressestelle die totale Nachrichtensperre über die "Burg" verhängen. Seitdem gibt es im Krankenhausbereich offensichtlich zwei Versionen über das monatelange Leerstehen der umgebauten "Burg". Die eine, offizielle, nennt fehlendes Mobiliar als Grund, die andere inoffizielle spricht von einer Boykottdrohung des Pflegepersonals.

 

Stichhaltig und nachweisbar scheint allerdings nur die zweite Version zu sein.

 

Der Kommission wurde ein Schreiben an die Direktion des Bezirkskrankenhauses Haar zugespielt, wonach die Bediensteten des (damals noch nicht umgebauten) Hauses 21 schon 1974 mit Dienstverweigerung drohten, wenn die unmenschlichen Bedingungen für die Insassen der "Burg" verschärft würden.

 

Jetzt sind sie Wirklichkeit. Ergebnis: Wegen Weigerung des Personals sollen jetzt "schwarze Sheriffs" eines privaten Bewachungsunternehmens in weiße Pflegerkittel gesteckt werden und die "Burg" betriebsfähig machen, allerdings mit Gummiknüpel statt mit Therapie.

 

Eine nicht bedachte Situation war durch den Umbau geschaffen worden. Statt übersichtlicher großräumiger Zimmer mit 104 Betten, stehen nun nur noch 72 Plätze in Zweibettzimmern zur Verfügung. Sie werden einzeln durch Monitoren überwacht und lassen jeden menschlichen Kontakt und Wärme in den Ansätzen ersticken.

 

Mit Recht fürchten die Krankenpfleger, die auch durch Gehaltszulagen nicht zu gewinnen sind, dass tierische Instinkte die psychisch kranken Rechtsbrecher zur letzten Verzweiflungstat, etwa Kidnapping der Pfleger, treiben werden, um aus ihrem nunmehr todsicheren Gefängnis auszubrechen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, auch jede Chance auf Rehabilitation ist ihnen genommen. "So unmenschlich darf keine zeitgemäße Gesundheitspolitik sein. Bis heute haben die Haarer Anstaltspsychiater ihre Hilfestellung für diesen modernen Akt der Unmenschlichkeit nicht verweigert", wirft der Sprecher der Kommission vor.

 

Die Kommission fordert deshalb, dass die Verantwortlichen sofort den Mantel des Schweigens lüften und vor der Öffentlichkeit die Verwendung der 2,8 Millionen Mark Steuergelder rechtfertigen. "Der mündige Bürger hat das Recht darauf die Wahrheit zu erfahren".

 

Nicht ohne Grund hielt die Enquete-Kommission zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem 1000 Seiten umfassenden Bericht an die Bundesregierung folgendes fest (Seite 1126):

 

"Jede gute Gesundheitspolitik beginnt mit einer umfassenden, nichts verschweigenden, weder verharmlosenden noch dramatisierenden, sondern wahrhaftigen und mutigen Aufklärung des betroffenen Bürgers. Betroffen sind wir alle - als Patienten, Angehörige, Freunde, Nachbarn, 14'iitbürger. Hierfür Verständigung zu wecken, ohne an den Tatsachen zu manipulieren, die Schwierigkeiten nicht zu verschweigen und doch dabei diejenigen nicht zu entmutigen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben, in eben diesem Spannungsfeld steht Öffentlichkeitsarbeit. Sie sollte sich davor hüten, von denen als Alibi sich benutzen zu lassen, deren Versäumnisse dazu beigetragen haben, dass selbst die Enquete-Kommission von "brutalen Realitäten" zu sprechen gezwungen war. Eine rückständige Psychiatrie mit werbetechnischen Tricks aufzuschminken und national und international salonfähig machen zu wollen, wäre nicht gesundheitliche Aufklärung, sondern ließe eine Dunkelmännermentalität erkennen, an der niemand gelegen sein kann. Nur die Realisierung zeitgemäßer therapeutischer, rehabilitativer und institutioneller Konzepte jedoch löst das Problem einer der Psychiatrie gegenüber sich skeptisch verhaltenen Bevölkerung - umgekehrt ist der Weg nicht gangbar".

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.