Dunkles Kapitel: Psychochirurgie

 

München, den 25. 10. 1977

 

Die seit Jahren andauernden Kontroversen um die Psychochirurgie nehmen kein Ende. Während in vielen Ländern durch ein Verbot oder zumindest einer wesentlichen Einschränkung von derlei Hirnoperationen daraus Konsequenzen gezogen wurden, operieren die bundesdeutschen Psychochirurgen unbehelligt weiter.

 

Doch auch bei uns verlieren die Psychochirurgen zusehends an Boden. Zu dieser Auffassung gelangt zumindest die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (München), insbesondere aufgrund von Vorwürfen, die nun verstärkt aus Medizinerkreisen gegen die Hirnoperateure erhoben werden.

 

So stellt der international renommierte Frankfurter Medizinprofessor und Sexualforscher Dr. med. Volkmar Sigusch in einer jetzt veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit u.a. fest: "Statt einer heilenden Wirkung kann der Eingriff das Persönlichkeitsbild des Operierten stark verändern und seinen geistigen Verfall auslösen. Fast alle Eingriffe haben einen experimentellen Charakter und sind ärztlich nicht zu rechtfertigen."

 

Dr. Johann Gottfried Appy, Vorsitzender der "Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie" äußert sich in ähnlicher Weise: "Psychochirurgie setzt den Patienten unverantwortlich hohen Risiken aus und verfehlt zudem ihre Ziele. Statistische Nachweise über Heilerfolge gibt es nicht. Hingegen sind genügend irreversible Schäden bekannt geworden, die den Operierten zugefügt wurden."

 

In einem Leitartikel der medizinischen Fachzeitschrift "Ärztliche Praxis" berichtete kürzlich Dr. med. Wilfried Dogs, Chefarzt der Burghof-Klinik in Rinteln: "Ich habe in meiner Klinik alleine 7 Patienten gehabt, bei denen ich nachweisen kann, dass sie psychochirurgisch behandelt worden sind, ohne vorher überhaupt psychotherapeutisch untersucht oder gar behandelt worden zu sein. Aus meiner konsiliarischen Tätigkeit könnte ich eine viel größere Zahl von Fällen anführen." Die Psychochirurgen hatten bisher hartnäckig behauptet, ihre Eingriffe als ein "Ultimo Ratio" angewendet zu haben, nachdem alle Alternativtherapien erfolglos geblieben seien. Sie haben sich jedoch offensichtlich mit ihren Beteuerungen nicht an die Wahrheit gehalten.

 

Im April dieses Jahres wurde vom Bundesgesundheitsamt (Berlin) im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, ein Gremium von Wissenschaftlern zur Prüfung der mit stereotaktischen Operationen zusammenhängenden Fragen eingesetzt. Mit diesem Schritt reagierte das Bundesgesundheitsministerium auf die wachsende Kritik an der Psychochirurgie, die sich im Wesentlichen gegen den Experimentalcharakter und die teilweise verheerenden Operationsschäden richtete. Obwohl seitdem, dank Recherchen engagierter Journalisten und Mediziner, zahlreiche weitere negativ verlaufene Hirnoperationen - darunter Todesfälle und Selbstmorde - bekannt wurden, liegt noch kein Ergebnis vom Bundesgesundheitsamt vor. Das Ergebnis dieser Arbeit wird, wie die Regierungsdirektorin Frau Loos vom Bundesgesundheitsministerium der Kommission in einem Schreiben mitteilte, "Grundlage für weitere Entscheidung sein", aber inzwischen wird eben weiter operiert.

 

Ein beispielhaft entschlossenes Handeln zeigte - mit denselben Problemen konfrontiert - die Regierung des australischen Bundesstaates New-South-Wales. Dort untersagte der Gesundheitsminister nach einer Fernsehsendung, in der über drei Patienten berichtet wurde, die nach Gehirnoperationen Selbstmord verübten, sofort sämtliche Eingriffe und leitete eine Untersuchung ein.

 

Diese Untersuchung ist inzwischen abgeschlossen und mündete in einem 14 Paragrafen umfassenden Gesetzesentwurf, der den Patienten bestmöglichen Schutz zusichert. In dem Entwurf ist beispielsweise festgelegt, dass niemand gegen seinen Willen einem psychochirurgischen Eingriff unterzogen werden darf. Wenn sich ein Patient freiwillig einer derartigen Operation unterziehen möchte - nach dem er vorher über die möglichen Folgen aufgeklärt wurde - muss das Anliegen des Patienten von einem siebenköpfigen unabhängigen Gutachtergremium mehrheitlich befürwortet werden. Der Eingriff darf nur erfolgen, wenn tatsächlich alle anderen möglichen Therapiemaßnahmen erfolglos blieben; zudem muss die Indikation genauestens begründet werden. Es wird auch vorgeschrieben, dass das Gutachtergremium über den Ausgang der Hirnoperation eingehend informiert wird. In Kürze soll nun dieser sorgfältig ausgearbeitete Gesetzesentwurf von der Regierung in Sydney, der Hauptstadt von New-South-Wales verabschiedet werden, um eine "Kontrolle der Psychochirurgie" zu erreichen.

 

Ermutigt durch das australische Beispiel will sich nun die von der Scientology Kirche unterstütze "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." an den Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Prof. Dr. Georges Füllgraff wenden und ihn um einen raschen Abschluss der Arbeiten des Wissenschaftsgremiums bitten, damit das Bundesgesundheitsministerium basierend auf diesem Ergebnis Entscheidungen treffen kann. Die Kommission hofft, dass sie damit dazu beitragen kann, bald Licht in das bislang dunkle Kapitel Psychochirurgie zu bringen.

 

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.